Vier Fragen an Ulrich Zehfuß


Wie erlebst Du die Zeit der Corona-Krise? Wie wirkt sich das auf Deinen Alltag und Dein Schaffen aus?

Am Anfang war es der reine Schock, weil plötzlich alle Termine wegbrachen. Als Musiker ist man es gewohnt, schon bis zu zwei Jahre im Voraus zu wissen, wo man wann sein wird. Durch meine Show-Reihen Ulis Wohnzimmer in Schwetzingen und Speyer und Sago Song Salon in anderen Städten bin ich auch eine Art Veranstalter und musste viel koordinieren, absagen, verschieben, anderen Musiker*innen mitteilen, dass sie leider weder Auftritt noch Gage bekommen würden. Neben den Auftritten war und bin ich aber auch mit meiner neuen CD "Erntezeit" beschäftigt - und dafür war plötzlich viel mehr Zeit. Ebenso wie für ein Buch über das Liederschreiben, an dem ich seit Jahren arbeite. Ich habe also versucht, alles nach vorne zu bringen, was sonst liegen geblieben war. Die Krise wirkt also ambivalent. Es ist eine neue Wirklichkeit, in die man tastend den Fuß setzt. Auch wenn der aktuelle Homeschooling-Wahnsinn auch meine Familie stresst, gab es durch die Entschleunigung sehr schöne Momente. Insgesamt ist mein Eindruck, dass den Menschen gerade sehr deutlich wird, was wichtig und unwichtig ist. Die Krise erdet, und das tut gut.

Es wurden jede Menge Hilfspakete geschnürt – auch für Kulturschaffende und die Veranstaltungsbranche. Funktioniert das für Dich?

Ich selbst habe keine Hilfen beantragt, da ich quasi als Nebenprodukt des Liederschreibens ein Büro für Pressearbeit aufgebaut habe, das mich in der Krise finanziell trägt. Verluste hatte ich auch, aber es war nicht existenziell. Ich weiß aber von Freunden und Kolleg*innen, dass die Bedingungen der Hilfen in sehr vielen Fällen an der Wirklichkeit vorbeigingen. Sie zeigten, dass es in Deutschland eine strukturelle Diskriminierung freiberuflicher Existenzen gibt. Das Rollenideal der Hilfspaket-Designer ist der Festangestellte in einem Großbetrieb. Und das hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Umso wichtiger war die praktische lokale Hilfe: Viele Freunde bekamen einfach Geld von Freunden und Verwandten, hier in Speyer gibt es den Kultur.Support, der unkompliziert einen Beitrag leistet.

Was glaubst Du, wie sich die derzeitige Situation auf die Zukunft für Kulturschaffende bzw. die Veranstaltungsbranche auswirkt?

Ich fürchte, die Krise wirkt auf die Kulturbranche wie Antibiotikum auf die Darmflora: Da wird ein ausbalanciertes Milieu ausradiert – und danach vermehren sich die aggressivsten Formen am schnellsten. Wieviel Milieupflege von einem Staat betrieben wird, der Kultur als nicht so wahnsinnig relevant erachtet, kann man sich denken. Viele aus der Kulturbranche werden dauerhaft in bürgerliche Berufe abwandern, weniger professionelle Veranstalter sich den Stress geben, Kultur auf die Bühne zu bringen. Aber das hängt auch vom Publikum ab: Wer Kunst und Kultur die Treue hält, erhält diese. Wer nicht mehr hingeht, sorgt dafür, dass sie dahingeht.

Was erwartest Du von der Politik für die Zeit nach Corona?

Kultur muss eine kommunale Pflichtaufgabe werden. Konkret in Rheinland-Pfalz verhindert das Spardiktat des Landes gegenüber den in die Verschuldung getriebenen Kommunen viele kulturelle Aktivitäten. Wer nicht möchte, dass es bei uns einen Sturm aufs Kapitol gibt – okay, den gab es schon bei uns, im Miniaturformat – der muss kulturellen Austausch fördern, der Verständnis und Toleranz stärkt. Es ist also die Nagelprobe, ob die Politik es ernst meint mit der Kultur. Wird sie in der nächsten Legislaturperiode keine Pflichtaufgabe, ist alles Geschwätz.
Darüber hinaus wünsche ich mir für zukünftige Hilfspakete das Schweizer Modell: In der Schweiz bekamen die Künstler*innen 60 % ihres steuerlich ausgewiesenen Verdienstes des Vorjahrs als Hilfe – ganz so, als hätten sie die gleichen Rechte und Ansprüche wie Angestellte. Fand ich gut.


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