Wie erlebst Du die Zeit der Corona-Krise? Wie wirkt sich das auf Deinen Alltag und Dein Schaffen aus?
Die Krise hat mich gleich zu Beginn direkt und ziemlich schwer getroffen.
Als der erste Lockdown Mitte März 2020 eintrat, standen viele Konzerte an, da es der Beginn der Passionszeit war, was für uns Konzertsängerinnen und -sänger jede Menge Auftritte bedeutet. Das anstehende Konzertwochenende wurde kurzfristig abgesagt und bald folgten alle anderen Konzertabsagen. Nach und nach kamen Absagen für das komplette Jahr 2020.
Neben meiner Konzerttätigkeit lebe ich auch von Stimmbildungsunterricht. Dieser fiel zu Beginn des Lockdowns auch komplett aus, aber ich konnte dann bald einige Schüler online unterrichten und mich so zumindest finanziell über Wasser halten.
Ich habe das Glück, auch für die Dommusik Speyer zu arbeiten und dort viele Stimmbildungsschüler zu betreuen und Unterrichtsstunden geben zu können. Nach den Sommerferien konnten wir auch wieder Präsenzunterricht erteilen, weil wir große Räume haben, in denen wir genügend Abstand voneinander halten können. Das bedeutet zwar eine gewisse Umstellung, aber es ist machbar.
Darüber hinaus habe ich auch einige Auftritte im kleineren Rahmen wahrnehmen können, wie die musikalische Gestaltung von Gottesdiensten sowie Konzerte in kleiner Besetzung, u.a. dank der Dommusik Speyer.
Dennoch ist alles sehr belastend. Man hat nie Sicherheit, selbst wenn Auftritte zugesagt werden. Man muss ständig kurzfristig wegen der geänderten Corona-Verordnungen umplanen. Dies war vor allem im Dezember und an Weihnachten ziemlich hart, da zwei Tage vor Weihnachten informiert wurde, dass nur noch eine Person in der Kirche singen darf (sogar im großen Dom). Somit wurden unsere Pläne, den Menschen schöne Musik an Weihnachten zu präsentieren, wieder über den Haufen geworfen und es musste kurzfristig alles umorganisiert werden.
Ich habe für die erforderlichen Maßnahmen natürlich Verständnis, aber das alles sorgt auf Dauer schon für eine psychische Belastung. Wir versuchen, unseren Musikerberuf so gut es geht weiterzuführen, aber manche Dinge, die vorher fast alltäglich waren, scheinen nun schon sehr weit weg. Wir machen eigentlich alles nur noch in kleiner und eingeschränkter Form, also genau das Gegenteil von dem, was unseren Berufsstand ausmacht. Ich habe z.B. mein letztes großes Oratorium als Solistin mit großem Chor und Orchester im Dezember 2019 gesungen. Seitdem sind zwei Konzertsaisons vergangen, in denen nur sehr wenig stattfinden konnte, und dann auch nur im kleinen Rahmen.
Ich hoffe auf das zweite Halbjahr 2021.
Es wurden jede Menge Hilfspakete geschnürt – auch für Kulturschaffende und die Veranstaltungsbranche. Funktioniert das für Dich?
Die Hilfspakete waren nicht wirklich auf Solo-Selbständige zugeschnitten, da sie auf betrieblichen Kosten basierten. Als freischaffende Sängerin konnte ich teilweise Hilfen erhalten, die jedoch bei weitem nicht meine Umsatzausfälle kompensieren konnten.
Was glaubst Du, wie sich die derzeitige Situation auf die Zukunft für Kulturschaffende bzw. die Veranstaltungsbranche auswirkt?
Ich versuche, optimistisch zu bleiben und hoffe auf die Zeit, in der alles wieder anlaufen wird.
Ich mache mir jedoch vor allem Sorgen um die Amateur-Chöre, die durch die Corona-Situation stark beeinträchtigt und geschwächt wurden. Durch die lange Singpause gerät die Chorszene aus der Übung. Der Wiederaufbau der Chorstrukturen, wie wir sie vor der Krise kannten, wird vermutlich eine längere Anlaufzeit brauchen und wir werden nicht einfach direkt wieder dort ansetzen können, wo wir aufgehört haben. Das könnte zu einem Einbruch der Konzertangebote führen, denn es treten ja nicht nur Profi-Chöre und Profi-Orchester auf. Gerade wir Konzertsänger werden oft engagiert, um als Solisten mit Laienchören zusammen große Konzerte zu singen. Sollte das wegfallen, wird unser Berufsstand gefährdet sein.
Auch die Kinder werden in ihrer musikalischen Ausbildung stark zurückgeworfen. Es wird harte Arbeit werden, das alles wieder aufzubauen.
Was erwartest Du von der Politik für die Zeit nach Corona?
Sicher wäre eine langfristige finanzielle Unterstützung der Kulturbranche wichtig, damit wir in Zukunft nicht nur eine künstlerische Elite in unserem Land haben, sondern wie vor der Pandemie ein breit gefächertes Spektrum an gelebter Musik und Kultur für alle Bevölkerungsschichten. Deutschland stand in dieser Hinsicht, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, bis jetzt ganz gut da. Deshalb hoffe ich, dass die für die Kultur zuständigen Bundesländer ihre Etats mit Hilfe des Bundes aufstocken und die Unterstützung für die Kulturschaffenden fortsetzen. Dazu gehören auch steuerliche Entlastungen und die Anerkennung eines „Unternehmerlohns“ für Solo-Selbständige. Auch die Kommunen stehen hier in der Verantwortung. Die Veranstalter müssten entsprechend von Fixkosten entlastet werden, um das Konzertangebot für die Bevölkerung aufrechterhalten und nach der Krise sogar ausweiten zu können.
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