Vier Fragen an Julia Wütscher


Wie erlebst Du die Zeit der Corona-Krise? Wie wirkt sich das auf Deinen Alltag und Dein Schaffen aus?

Mit wenigen Ausnahmen bin ich seit dem 16. März 2020 im Homeoffice. Trotz Stillstand in der Veranstaltungsbranche gibt es gerade in meinem Arbeitsbereich eine Menge zu tun. Veranstaltungen werden verschoben, abgesagt, umgeplant. Das muss den Gästen und der Presse gegenüber kommuniziert werden. Da ist wenig übrig von dem, was man eigentlich an dieser Tätigkeit liebt: die Künstler und die Inhalte ihrer Kunst möglichst einem breiten Publikum bekannt machen, die Lust auf ein Programm wecken, kreativ mit Text- und Bildinhalten umgehen. Rein beruflich ist diese Zeit zermürbend. Andererseits ist die Vollbremsung, die wir alle vor 11 Monaten hingelegt haben, eine Zäsur, die Zeit zum Nachdenken ermöglicht hat. Was ist mir wichtig, was fehlt, auf was kann man verzichten? Wie sehr ich Kultur und vor allem Kulturveranstaltungen brauche, um mich komplett zu fühlen, wurde mir erst in dieser Zeit so richtig klar. Es fehlt das künstlerisch gestaltete Gegenüber, der kabarettistische Finger in der Wunde, die musikalische Ekstase, das gemeinsame Erleben von Kultur. Es gibt viel nachzuholen, wenn Kulturveranstaltungen wieder möglich sein werden. Für mich steht außer Frage: Kultur ist systemrelevant!

Es wurden jede Menge Hilfspakete geschnürt – auch für Kulturschaffende und die Veranstaltungsbranche. Funktioniert das für Dich?

Wir im Capitol Mannheim wurden wenige Tage nach dem 1. Lockdown in die Kurzarbeit geschickt und das funktioniert für mich sehr gut. Alle Kollegen der GmbH konnten so weiter beschäftigt und bezahlt werden, auch wenn einige von ihnen in diesem Jahr nur ein paar Tage gearbeitet haben. Ich kann jetzt nur für unseren Betrieb sprechen, aber bei uns kommen die beantragten Hilfsgelder an und ich bin dankbar dafür, dass es diese Veranstaltungsstätte nach der Krise noch geben wird.

Was glaubst Du, wie sich die derzeitige Situation auf die Zukunft für Kulturschaffende bzw. die Veranstaltungsbranche auswirkt?

Als positive Veränderung sehe ich eine verstärkte Vernetzung von ehemals Einzelkämpfern in der Branche. Die Solidarität zwischen den Akteuren ist groß und dadurch auch schon viel erreicht worden. Ich bin mir sicher, dass das bleiben wird. Allerdings kann man jetzt schon beobachten, wie die Buntheit der Branche blasser wird. Zuerst sterben die Clubs weg, Künstler und Agenturen geben auf und über kurz oder lang wird es auch einige größere Häuser treffen. Ich befürchte leider, dass es einige Zeit dauern wird, bis sich die kulturelle Vielfalt und das Angebot wieder auf ein Vor-Pandemie-Level einpendeln wird. Auch die Möglichkeit für junge Künstler momentan ein Publikum zu erreichen geht gegen Null. Die Spielpläne sind mit verschobenen Terminen voll bis Mitte 2022. Es wird eventuell etwas dauern, bis sich neue Strömungen, gerade im musikalischen Bereich, durchsetzen können. Ich hoffe, die jungen Künstler halten die Durststrecke durch! Nicht nur die Künstler brauchen nach der Krise noch einen Auftrittsort, sondern auch die Veranstaltungshäuser brauchen die Künstler.

Was erwartest Du von der Politik für die Zeit nach Corona?

Das Publikum ist verunsichert. Wer kann schon eine Garantie geben, dass ein Veranstaltungsbesuch absolut sicher ist. Die AHA-Regeln, gerade die Abstandsgebote, haben sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Bis die Zuschauer wieder unbeschwert in die Kulturtempel strömen, wird es noch eine Weile dauern. Ich erhoffe mir von der Politik kluge Fördermöglichkeiten, um fehlende Umsätze aufzufangen ohne die Gagen der Künstler noch weiter herunterfahren zu müssen. Die Förderungen im Bereich der Kultur müssen besser verteilt werden: weg vom Leuchtturm hin zu einer breiten kulturellen Vielfalt, die wir uns alle wünschen.


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