Vier Fragen an Jutta Keller


Wie erlebst Du die Zeit der Corona-Krise? Wie wirkt sich das auf Deinen Alltag und Dein Schaffen aus?

Zu Beginn der Krise im März 2020 war mir ziemlich schnell klar, dass ich die Realisierung meines bereits Ende 2019 gestarteten Projektes und somit auch die dazu geplanten Konzerte würde canceln müssen. Zeit und Kraft steckte ich dann in eine umfassende Digitalisierung meines Gitarrenunterrichts, was ich schnell umsetzen konnte, so dass dieses finanzielle Standbein tragfähig blieb. Zu jener Zeit war ich sehr froh und dankbar, dass wenigstens im Unterrichtsbereich „überhaupt etwas ging“, wobei ich zugegebenermaßen jede analoge Gitarrenstunde einer digitalen vorziehe.
Die Lockerungen Ende Mai machten Einzel-Präsenzunterricht wieder möglich; und ab Mitte Juni konnte ich mit ausgearbeitetem Hygienekonzept auch einige Proben mit meinem Frauen-Gitarrenensemble, den GITARRISTAS, und mit den Unterrichtsgruppen leiten. So ist es mir gelungen, jede/n Einzelne/n an der Gitarre zu halten - analog und digital.
In den zurückliegenden Monaten erfuhr ich hilfreiche Unterstützung sowohl vonseiten der Eltern meiner SchülerInnen als auch von den Frauen des Ensembles und der Gruppen - schlicht und ergreifend durch die Tatsache, dass bestehende Verträge nicht gecancelt wurden. Für diesen respekt- und rücksichtsvollen Umgang bin ich sehr, sehr dankbar und möchte an dieser Stelle aufmerksam machen auf die vielfältigen Möglichkeiten, die mitunter jede/r von uns hat, insbesondere die Arbeit von Solo-Selbstständigen und Kulturschaffenden auch weiterhin zu ermöglichen und zu unterstützen (z.B. CD- oder Bücherkauf; Gutscheinkauf; Abonnements, etc.). Positiv überraschen mich in der „Krisenzeit“ insbesondere die Kinder und Jugendlichen, für die die AHA-Regeln mittlerweile selbstverständlich sind und die sich bei mir im Unterricht vorbildlich verhalten.
Was mir sehr fehlt seit März 2020, ist der musikalische Austausch mit Kolleginnen und Kollegen: als Musikerin der „analogen Generation“ bin ich kreatives Schaffen im präsenten Miteinander gewohnt. Mich begeistern interaktive Proben, wenn alles im Fluss ist, wenn Gemeinsames entsteht. Demgegenüber ist der digitale Austausch für mich eher Arbeit als Spiel; aber möglicherweise erschließe ich mir dieses Gebiet weiterhin mehr und mehr; ich möchte dafür offenbleiben.
Auf mein musikalisches Schaffen hat das Virus insofern Einfluss, dass Zeitplan vorgebende Orientierungspunkte wie Konzertdaten, CD-Projekte u.ä. wegfallen.
Den Wegfall dieser „Stressoren“ nach fast 30-jähriger Konzerttätigkeit erlebe ich andererseits aber auch als bereichernd, denn die so gewonnene Mehr-Zeit und resultierende Ruhe wirkt sich auch wiederum positiv auf meine ureigene kreative Arbeit aus.

Es wurden jede Menge Hilfspakete geschnürt – auch für Kulturschaffende und die Veranstaltungsbranche. Funktioniert das für Dich?

Als freie Musikerin und Unterrichtende bin ich es seit Jahrzehnten gewohnt, selbsttätig dafür zu sorgen, dass „mein Laden läuft“.  Das beinhaltet auf der einen Seite zeitweise große Freiheit, auf der anderen Seite aber auch großes Risiko und maximale Eigenverantwortung. Dessen war ich mir stets bewusst. Nichtsdestotrotz war das per Gesetz auferlegte „Berufsverbot“ zunächst eine zutiefst verunsichernde und vorher nie dagewesene Situation, in welcher ich mich über die schnelle und unbürokratische Zuwendung z.B. von „Speyer.Kultur.Support“ sehr gefreut habe. Ich finde, die Stadt Speyer - wie im Übrigen auch auch die Kulturstiftung Speyer - haben „ihre Kulturschaffenden“ zumindest im Blick und sind bemüht zu helfen; und das nicht erst seit „der Krise“. Dies ist mir in anderen Städten, in denen ich vorher tätig war (Mainz, Frankfurt, Aachen), in dem Maße nicht begegnet.
Für eine Vielzahl von Kolleginnen und Kollegen funktionieren die Hilfspakete z.B. auf Länderebene nur zum Teil oder auch gar nicht. Und für die Veranstaltungsbranche, die vielen kleinen Unternehmen und die damit verbundenen Jobs sehe ich ziemlich bis ganz schwarz; diesen Berufsgruppen fehlen seit Monaten die Einkünfte, und daran wird sich voraussichtlich auch bis Mitte oder auch Ende des neuen Jahres nicht viel ändern.

Was glaubst Du, wie sich die derzeitige Situation auf die Zukunft für Kulturschaffende bzw. die Veranstaltungsbranche auswirkt?

Meiner Einschätzung nach wird die Verunsicherung in der Branche und die damit verbundene fehlende Planungssicherheit weitere Monate anhalten, was bedeutet, dass sich sehr wahrscheinlich bis Ende 2021 das Kulturangebot weiterhin grundlegend verändert zeigt und somit auch keine vergleichbaren Einnahmen wie vor der Krise zu erzielen sind. Dies wiederum wird mit Sicherheit auch Auswirkungen auf die Folgejahre haben; gerade umfangreiche Projekte sind ja oft über mehrere Jahre konzipiert.
Möglicherweise gelangen wir erst zu einer - dann veränderten - Normalität, wenn durch gewonnenen Impfimmunität zu einer verlässlichen Planung für alle - Künstler, Management, Veranstaltungsbranche und
-infrastruktur - zurückgekehrt werden kann.
Bis es soweit ist, werden viele, v.a. kleine Locations dicht machen müssen und somit Auftrittsmöglichkeiten fehlen. Das wird unweigerlich dazu führen, dass - wie schon vor der Pandemie zeitweise geschehen - das finanzielle Risiko mehr und mehr beim Künstler verbleibt. Möglicherweise sollte der Gedanke einer Grundsicherung für freie Kulturschaffende mit dem Ziel einer funktionierenden und unabhängigen Kulturszene weiter diskutiert werden. Kunst und Kultur ist ein nicht zu ersetzender Teil unserer Bildung, unseres menschlichen Daseins und Miteinanders; das wusste schon Friedrich Nietzsche, der bezogen auf die Musik feststellt: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“

Was erwartest Du von der Politik für die Zeit nach Corona?

Realistisch betrachtet und meine Erfahrungen in der Branche seit langen Jahren mit einbezogen, erwarte ich von den politischen Entscheidern bzgl. der Kulturszene keine nennenswerten Veränderungen oder gar Verbesserungen. Wenn sich hinsichtlich von Entlohnung, Wertschätzung oder auch Arbeitsbedingungen schon bei den als „sehr systemrelevant“ eingestuften Berufsgruppen wie z.B. Kranken- und Altenpflege oder Kinderbetreuung außer Lippenbekenntnissen nichts Entscheidendes bewegt, was soll sich im Bereich Kultur tun, insbesondere dann, wenn Bund, Länder und Gemeinden verstärkt sparen müssen nach den Milliardenausgaben für Hilfspakete?
Und dennoch bin ich zuversichtlich: Kreative sind letztlich immer kreativ und oftmals sogar besonders kreativ in Krisenzeiten. Kunst und Kultur wird es weiter geben - in welcher Form auch immer.


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