Vier Fragen an Jutta Brandl


Wie erlebst Du die Zeit der Corona-Krise? Wie wirkt sich das auf Deinen Alltag und Dein Schaffen aus?

Seit März hatte ich nur vereinzelt Live-Konzerte oder Streams. In diesem Jahr konnten keine meiner Workshops und Unterrichtseinheiten fürs Circle-Singen stattfinden. Nicht nur der finanzielle Verlust ist schlimm. Auch den Kontakt zu meinem Publikum und den Teilnehmern meiner Workshops zu halten ist schwierig.

Ich bin ein positiver Mensch und versuche irgendwie das Beste draus zu machen. Ich übe viel, lerne Neues, entwickle Konzepte für meinen Unterricht und meine Workshops und arbeite mit Bernhard Sperrfechter an einem Album. Ich versuche meine Kreativität zu erhalten und immer wieder anzuregen. Im Sommer und Herbst war  auch wieder Präsenzunterricht möglich, was wenigstens ein bisschen Musik mit anderen Menschen in meinen Alltag bringt. Aber die Konzerte und der Austausch mit anderen Musikern fehlen immens.

Es wurden jede Menge Hilfspakete geschnürt – auch für Kulturschaffende und die Veranstaltungsbranche. Funktioniert das für Dich?

Die Hilfspakete sind an der Wirklichkeit der Lebenssituation unserer Branche vorbei geplant. Sie sind zu bürokratisch, unserer Arbeitswirklichkeit nicht angepasst und zu zeitverzögert.

Wer von staatlicher Seite ins Berufsverbot befördert wird, sollte schnell und unbürokratisch unterstützt werden. Das ist leider nicht gegeben. Bis auf mein Honorar von der Musikschule sind so gut wie alle meine Einnahmen weggebrochen. Die Hilfspakete greifen bei mir nicht. Ich habe keine Betriebskosten. Mit meinen Honoraren bestreite ich meinen Lebensunterhalt.

Die ersten Gelder konnte ich wie viele Kollegen nicht beantragen.

Auch Hartz 4 oder andere Hilfsgelder greifen bei mir nicht, weil ich verheiratet bin und mein Mann durch die Pandemie finanziell nicht beeinträchtigt ist. Das ist einerseits ein Glücksfall, für den ich dankbar bin, andererseits ändert es nichts daran, dass meine Honorare in unseren gemeinsamen Einkommen fehlen. Die nicht selbst verschuldete finanzielle Abhängigkeit vom Einkommen meines Ehemannes ist für mich ein Rückschritt. Ohne Aussicht auf Erfolg, aber auch aus Solidarität zu meinen Kollegen im Hinblick auf meine Situation, habe ich mir den immensen bürokratischen Aufwand für die Hilfen und die zu erwartenden abschlägigen Bescheide erspart.

Was glaubst Du, wie sich die derzeitige Situation auf die Zukunft für Kulturschaffende bzw. die Veranstaltungsbranche auswirkt?

Alle abgesagten Konzerte in diesem Jahr wurden, oder werden, wenn überhaupt, auf 2021 verschoben. Der Buchungsvorlauf verlängert sich so um mindestens 1 Jahr. Das heißt unter Umständen ein weiteres Jahr ohne jegliches Einkommen. Viele Musiker und Veranstalter und andere in der Branche tätigen Menschen werden sich nicht so lange halten können.

Das wird dazu führen, dass es noch weniger Auftrittsmöglichkeiten geben wird. Das Risiko, Konzertveranstaltungen ohne Subventionen durchzuführen, ist sowieso sehr groß und wird dann für viele nicht mehr tragbar sein. Für die Konzerte, die es dann noch gibt, befürchte ich eine noch stärkere Verschiebung des finanziellen Risikos auf die Künstler. Sinkende oder keine Festgagen mehr, Konzerte "auf Eintritt" (d.h. die Künstler übernehmen das volle Risiko), das alles wird zunehmen. Bekannte Künstler werden sich vielleicht irgendwie halten können; für Berufsanfänger, die sich gerade versuchen zu etablieren, wird es äußerst schwierig.

Was erwartest Du von der Politik für die Zeit nach Corona?

Kultur ist kein Luxus, sondern wichtiger Teil unseres Lebens. Damit das in der Gesellschaft so ankommt, sollten die freien Kulturschaffenden genauso subventioniert werden wie die Theater, die Klassische Musik oder die Museen. Es sollte keinen Unterschied geben zwischen sog. "Ernster" und Unterhaltungs-Kunst. Auch für die Theater und andere Kultureinrichtungen ist die Situation sehr schwierig, aber die dort angestellten Menschen können wenigstens Kurzarbeitergeld beanspruchen.

Ich glaube dennoch nicht, dass die freie Szene "untergeht". Wir haben bis jetzt immer Wege gefunden. Das kann ich aus meiner 35-jährigen Erfahrung sagen. Die jetzige Situation ist allerdings eine noch nie Dagewesene! Aber ich glaube an uns Kulturschaffende. Wir sind kreativ, ambitioniert, erfindungsreich und idealistisch genug, um immer weiterzumachen. Vielleicht muss man sogar "leider" sagen. Wir werden selbst unter schlechtesten Bedingungen nicht aufhören. Kunst und Kultur gab es immer und wird es immer geben.

Das allein zeigt, wie essenziell beides für uns Menschen ist. Die Arbeit der Kulturschaffenden sollte als solche anerkannt und gewürdigt werden. Staatliche Subventionierung für Künstler und Veranstalter würden die Bedingungen, unter denen wir arbeiten (müssen), etwas gerechter machen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für freie Kulturschaffende wäre ein Zeichen.


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