Vier Fragen an Almut Fingerle


Wie erlebst Du die Zeit der Corona-Krise? Wie wirkt sich das auf Deinen Alltag und Dein Schaffen aus?

Nach dem Schock des ersten Lockdowns, der Absage des Austauschkonzertes mit einem Chor der Partnerstadt Chartres, habe ich die erste Phase von März bis Juni als Befreiung erlebt, welche die Möglichkeit bot, neue Dinge zu lernen und kreativ zu werden. (Umgang mit digitalem Equipment für Musiker, Aufnahmetechnik, Erstellung von Filmen für Kinder in Kitas, digitale Chorproben und Gesangsunterricht, Streaming-Konzerte, Produktion eigener Lieder….) Gleichzeitig stellte die Betreuung der drei Kinder im Homeschooling eine große Herausforderung dar.

In der ersten Novemberhälfte hatte sich eine gewisse Resignation eingestellt. Das Wissen, dass dieser Zustand noch lange dauern wird, und das häufige Hin- und Her der Corona-Regelungen empfand ich als belastend. Digitale Formate für Chöre und Unterricht bedürfen wesentlich mehr Vorbereitungszeit und machen vieles aufwändiger.

Konzerte, ein Lebenselixier der Musiker sind aktuell unmöglich und konnten auch schon im Sommer nur sehr schwer bis nicht organisiert werden. Die meisten kleineren Konzertveranstalter, Kirchen etc. sahen sich nicht in der Lage Hygienekonzepte aufzustellen und umzusetzen, geschweige denn die finanziellen Einbußen auszugleichen. Hier sehe ich dringend Handlungsbedarf, um „kleinen“ Musikern und Künstlern eine künstlerische Existenz zu sichern.

Um diese Position zu verdeutlichen und ein positives Zeichen zu setzen, habe ich u.a. den „Besonderen musikalischen digitalen Adventskalender“ initiiert und Kollegen und Freunde gefunden, die sich daran beteiligen. Dies hat mich beflügelt und mir gezeigt, wie wichtig es ist, als Künstlerin aktiv zu sein und den Kontakt zu Kolleg/innen zu suchen.

Das Nachdenken über die Situation anlässlich dieses Fotoshootings für die Reihe „Kulturgesichter“ hat mir geholfen mich wieder positiv zu stimmen und lässt Ideen für neue Projekte wachsen. Wenn die Menschen nicht zur Musik kommen können, dann vielleicht die Musik eben zu den Menschen!

Es wurden jede Menge Hilfspakete geschnürt – auch für Kulturschaffende und die Veranstaltungsbranche. Funktioniert das für Dich?

Die Hilfsangebote von „Speyer.Kultur.Support.“ waren schnell und unkompliziert. Dies war sehr ermutigend. Besonders die Kombination zwischen Aufritt, z.B. bei den Konzerten ohne Publikum und guter Bezahlung waren sehr motivierend. Mit Konzerten und Projekten als Ziel vor Augen lässt sich die ungewisse Situation besser meistern.

Was glaubst Du, wie sich die derzeitige Situation auf die Zukunft für Kulturschaffende bzw. die Veranstaltungsbranche auswirkt?

Durch finanzielle Engpässe werden mehr Künstler als jetzt in freien Arbeitsverhältnissen auf weniger „Spielstätten“ treffen. Dies wird die Konkurrenz verstärken und es für den einzelnen schwieriger machen.

Die große Frage ist, ob wir es schaffen junge Menschen nach der Corona-Krise weiter für Musik und Kultur zu begeistern. Da müssen wir alle zusammenarbeiten, um diese Aufgabe zu bewältigen. Weiterhin sind alle Veranstalter von Konzerten gefordert, dass wir aus dieser Kulturkrise herausfinden. In diese Lücke könnten Institutionen und Mäzene springen, welche finanziell und tatkräftig unterstützen.

Andererseits bietet sich die Chance, altbekannte Dinge aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und z.B. Konzertformate neu zu gestalten. Dies ist möglich, wenn wir für unsere Ideen Unterstützung bekommen und Auftritte nicht als „one-person-show“ gestaltet werden müssen. Viele Künstler vereinen in Personalunion Marketing, Akquise, Vertrieb etc. Auch noch den Corona bedingten Platzanweiserjob oder den Hygienebeauftragten zu übernehmen, ist nicht zu bewältigen.

Wir Künstler sind ständig gefordert unser Schaffen neu zu überdenken. Ich bin optimistisch, dass uns dies auch dieses Mal gelingen wird.

Was erwartest Du von der Politik für die Zeit nach Corona?

Die Bedeutung und der Stellenwert von Kunst, künstlerischem Schaffen, Musik, Literatur, Malerei etc. muss immer wieder aufs Neue klar hervorgehoben werden. Dies muss sich von Anfang an in Krippen und Kitas, in den Lehrplänen, der Anzahl und Bewertung der Stunden in der Schule, im Etatplan der Kommunen und des Landes, in der finanziellen Unterstützung aller freier und fester Kulturstätten und unter dem Strich in der korrekten Bezahlung von bestens ausgebildeten Künstlern und Musikern ausdrücken.

Kunst und Kultur macht unser Leben reicher, bunter, schöner und vielfältiger. Freischaffende Musiker wie ich müssen weiter die Möglichkeit finden, auftreten zu können und auskömmlich zu leben.

Kunst ist kein Plus sondern ein Muss! In ihr zeigt sich unser Menschsein!


Mehr über die Sängerin und Musikerin Almut Fingerle