Preisträgerin 2024: Anja Kampmann
Anja Kampmann wurde 1983 in Hamburg geboren und studierte an der Universität Hamburg sowie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, wo sie heute auch lebt. Sie erhielt bereits zahlreiche Auszeichnungen, darunter den MDR-Literaturpreis (2013), den Wolfgang Weyrauch-Förderpreis beim Literarischen März in Darmstadt (2015) und den Rainer-Malkowski-Preis (2021). Bei Hanser erschienen ihr Gedichtband Proben von Stein und Licht (Lyrik Kabinett, 2016), ihr Debütroman Wie hoch die Wasser steigen (2018), für den sie den Lessing-Förderpreis und den Mara-Cassens-Preis erhielt, sowie zuletzt der Gedichtband Der Hund ist immer hungrig (2021), der mit dem Günter Kunert Literaturpreis für Lyrik ausgezeichnet wurde.
Juryentscheid
Die Jury ist sich einig: Schon mit ihrem 2016 im renommierten Hanser-Verlag erschienenen Debüt Proben von Stein und Licht habe Kampmann einen ganz eigenen Ton in die Lyrik gebracht: kristallin klar und doch rätselhaft zugleich.
Proben von Stein und Licht sei in fünf Zyklen unterteilt, die von der Fähigkeit der Dichterin zeugten, ihrer Lyrik eine formal wie inhaltlich überzeugende Struktur zu geben. Die mit glas, kalk, eis, salz und sand betitelten Zyklen seien stets überraschende Auseinandersetzungen mit diesen Materialien. Ausgehend davon gehe Kampmann den Dingen auf den Grund, indem sie Gegensätzliches zusammenbringe, Vertrautes und Fremdes einander gegenüberstelle.
Nachdem sie mit ihrer Lyrik vornehmlich die Fachwelt beeindruckt habe, habe Kampmann 2018 mit ihrem Roman-Erstling Wie hoch die Wasser steigen zusätzlich das breitere Lesepublikum von sich überzeugt.
Der Roman, eine Art Roadmovie eines wortkargen Arbeiters auf einer Öl-Bohr-Plattform, begeistere mit der Fähigkeit der Autorin, noch die randständigsten Dinge und Begebenheiten stets überraschend zu beschreiben.
Die Jury schließt sich dem Urteil der Wochenzeitung „Die Zeit“ an, die seinerzeit jubelte: „Hier ist eine Autorin zu entdecken, deren umfassende Weltaneignung durch Sprache sich am ehesten mit dem Schreibfuror Peter Handkes vergleichen lässt.“
Bis heute werde dem Roman, der 2018 für den renommierten Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, viel Aufmerksamkeit zuteil. So stand die Übersetzung in englischer Sprache 2020 auf der Shortlist des National Book Awards, des neben dem Pulitzer-Preis renommiertesten Literaturpreises der USA.
2021 folgte dann bei Hanser der zweite Lyrik-Band Der Hund ist immer hungrig. Auch ihn bewertet die Jury mit viel Sympathie für den illusionslosen Sound, der sich am besten durch lautes Lesen erschließe. Kampmanns Gedichte wirkten noch lange nach der Lektüre nach; das zeuge von ihrer großen dichterischen Klasse.
Anja Kampmann sei eine Autorin, die mit dem Werkstoff Sprache experimentiere und sich nie mit dem Erreichten zufriedengebe. Das mache sie zu einer solch interessanten Erscheinung im Literaturbetrieb, dass sie die Auszeichnung mit dem Arno-Reinfrank-Preis in hohem Maße verdiene.
Die Verleihung wird am 6. März 2024 im Rahmen der SPEYER.LIT Reihe in Speyer erfolgen.
Preisträger 2021: Tijan Sila
Tijan Sila kam 1981 in Sarajevo zur Welt und emigrierte 1994 mit seiner Familie nach Deutschland. Er studierte Germanistik und Anglistik in Heidelberg. Heute lebt er in Kaiserslautern, wo er als Lehrer an einer Berufsschule arbeitet. Im Frühjahr 2017 erschien sein Debütroman »Tierchen unlimited« bei Kiepenheuer & Witsch.
Juryentscheid
Die Jury hat sich für Tijan Sila und seinen Roman "Die Fahne der Wünsche" entschieden. Der in dem fiktiven Crocutanien am Rande Europas angesiedelte Roman ist eine hintersinnige Schilderung der Erlebnisse des Radrennfahrers Ambrosio, der in dem totalitär regierten Land zu reüssieren versucht. Zwischen
Anpassung und Aufmüpfigkeit gelingt es ihm, sich eher duldsam als oppositonell durchzulavieren. Außer im Sport findet Ambrosio Vergnügen im Flippern, das schließlich auch verboten wird, wie zuvor Alkohol und freie Liebe. Man denkt an Diktaturen des nahen oder fernen Ostens und vergisst darüber, dass man auch in westlichen Gesellschaften Alkoholverbot und Prüderie kannte, dass Flippern tatsächlich zuerst in den USA über dreißig Jahre lang wegen Gefährdung der Sittlichkeit der Jugend verboten war. Man muss in diesem Roman zwischen den Zeilen lesen können. Das Urteil der Jury: „Die Fahne der Wünsche" ist ein kluger literarischer Kommentar zu patriarchalischer Ordnung bzw. Unordnung und dabei eine höchst unterhaltsame Lektüre.“
Die Verleihung wird am 18. März 2021 im Rahmen der SPEYER.LIT Reihe in Speyer erfolgen.
Preisträger 2018: Björn Kuhligk
Björn Kuhligk wurde 1975 in Berlin geboren, wo er lebt und arbeitet. Er ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland und erhielt bereits zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Kunstpreis Literatur der Land Brandenburg Lotto GmbH (2013) sowie Arbeitsstipendien des Berliner Senats (2008 und 2015) und das Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung (2015). Vor seinem Gedichtband Die Sprache von Gibraltar (2016) erschienen im Hanser Verlag bereits Es gibt hier keine Küstenstraßen (2001), Am Ende kommen Touristen (2002), Großes Kino (2005), Von der Oberfläche der Erde (2009) und Die Stille zwischen null und eins (2013).
Juryentscheid
Björn Kuhligks eindringliche Verse, das Ergebnis seiner Reise im Oktober 2015 nach Gibraltar, ans Ende Europas, Europas Ende, sei eine Poesie der Fakten im Sinne Arno Reinfranks, befindet die Jury. In gebundener Sprache in der Nähe zur Prosa spiegeln sich wechselseitig objektive Fakten und Impressionen, persönliche Sensibilität und Reflexion. „Kuhligks Langgedicht ist kritisch und selbstkritisch, angerührt und schuldbewusst – aber illusionslos, unpathetisch, abwechselnd ernsthaft und spielerisch-distanziert“, so die Jury.
Kuhligks Lyrik berührt Grenzen: die der Gesellschaft und die des poetisch Sagbaren. Angekommen in der Krise am Rande der Gesellschaft, sieht er sich als VISA-König, als einer der Satten und Sieger aus einer Überflussgesellschaft dem Elend der Ausgegrenzten gegenüber. Er hat es aufgegeben, hier zwischen Patrouillenbooten und Hügeln nach Schönheit zu suchen. „Und genau aus dieser Begegnung entsteht seine Poesie der Fakten“, resümiert die Jury.
Die Feier zur 5. Preisverleihung fand am 24. Oktober 2018 im Historischen Ratssaal Speyer statt.
Preisträgerin 2015: Svenja Leiber
Svenja Leiber wurde 1975 in Hamburg geboren, wuchs in Norddeutschland auf und lebte einige Zeit in Saudi-Arabien. Heute wohnt sie in Berlin. 2005 erschien ihr Erzählungsband Büchsenlicht, 2010 der Roman Schipino und 2014 der Bildungsroman Das letzte Land. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter der Werner Bergengruen-Preis (2009), der Kranichsteiner Literaturförderpreis (2007) und 2014 den Kulturpreis Schleswig-Holstein „Neue Prosa“.
Juryentscheid
Die Jury zeichnet mit Svenja Leiber eine Autorin für ihre herausragende Prosakunst vor allem in ihrem „dystopischen“ Bildungsroman „Das letzte Land“ aus, der von Stärke und Würde im Scheitern handelt. Die Juroren hat der politische, „welthaltige“ Text, sowohl in dem, was er erzählt, als auch in seiner Sprache überzeugt: Die regional gefärbte Sprache, aus einem vergangenen Jahrhundert kommend, wirkt nie antiquiert; in lakonischer, oft karger Ausdrucksweise werden selbst aufwühlende Ereignisse im Präsens in einer nüchternen Sprache geschildert. „Die Symbolik, die Svenja Leiber durch die Genauigkeit ihrer Details ganz klar vermittelt, passt sowohl auf das verfehlte Leben des Helden als auch auf den Werdegang Deutschlands während der Zeit des Nationalsozialismus“, heißt es im Juryentscheid. Auch sei es der Autorin trefflich gelungen, die Psychologie der Mitläufer nachzuzeichnen: nicht nur Ideologen, sondern auch wohl intentionierte Personen werden durch die toxische Mischung aus Propaganda und Zwang aus der Bahn geworfen. Ein Thema, das auch Arno Reinfrank nicht fremd war.
Die Feier zur 4. Preisverleihung fand am 17. November 2015 im Historischen Ratssaal Speyer statt.
Preisträgerin 2012: Daniela Dröscher
Daniela Dröscher wurde 1977 in München geboren. Aufgewachsen im rheinland-pfälzischen Becherbach bei Kirn besuchte sie das Gymnasium in Meisenheim am Glan und studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie in Trier und London. An der Universität Potsdam promovierte sie mit einem poetologischen Thema. Heute lebt sie als freie Autorin in Berlin.
Juryentscheid
Die Jury zeichnete mit Daniela Dröscher erneut eine Wahlberlinerin mit Pfälzer Wurzeln für den Arno-Reinfrank-Literaturpreis aus. Die Jury lobt die Autorin für ihre herausragende Prosa, die sie in ihren Erzählungen und vor allem in ihrem Debütroman „Die Lichter des George Psalmanazar“ veröffentlicht hat. Die Literaturkritik hob dabei ihren somnambul zarten und feinsinnig illuminierten Stil wie auch ihre „Dialektik der Aufklärung“ hervor, vor allem in ihrem Roman, der im 18. Jahrhundert in London spielt. In zum Teil tiefsinnigen, zum Teil absurd-komischen Szenen werden Aberglaube, Scharlatanerie und Wissenschaft in ein dynamisches Wechselspiel gebracht. In diesem Roman - eine Geschichte des Lebens und der Liebe - treffen sich die Intentionen von Daniela Dröscher und Arno Reinfrank, zum Beispiel in der Theorie der „Poesie der Fakten“, als auch in der Prosa wie dem Roman „Solly und die 99 Engel“. Daniela Dröschers Theaterstück “Hundert Blumen”, das 2009 in Mainz uraufgeführt wurde, versteht sich als „ein modernes Sozialdrama, das weder larmoyant noch einseitig das krisengeschüttelte Prekariat beschreibt, vielmehr stellt es beherzt die Frage nach Wert und Würde des Menschen.“ Mit ihrer poetisch-heiteren, melancholisch-trotzigen Sprache und einem zutiefst empathischen Blick auf die Verlierer unserer Zeit schildere Daniela Dröscher die Welt der kleinen Leute – da ist es nicht falsch, an Arno Reinfranks in Koblenz uraufgeführtes Theaterstück „Das Manöver findet bei Straubs auf der Veranda statt" zu denken, um nur wenige Beispiele zu nennen, warum Daniela Dröscher den Arno-Reinfrank-Literaturpreis verdient.
Die Feier zur 3. Preisverleihung fand am 23. Oktober 2012 im Historischen Ratssaal Speyer statt.
Preisträgerin 2009: Monika Rinck
Monika Rinck, geboren 1969 in Zweibrücken, studierte nach dem Abitur in ihrer Heimatstadt in Bochum, Berlin und Yale Religionswissenschaft, Geschichte und Vergleichende Literaturwissenschaft. Sie lebt als Autorin in Berlin. Zu ihren Veröffentlichungen gehören Neues von der Phrasenfront (1998), Begriffsstudio (2001), die Gedichtbände Verzückte Distanzen (2004) und Zum Fernbleiben der Umarmung (2007) sowie die Essays Ah, das Love-Ding (2006) und das Hörbuch Pass auf, Pony! (2008).
Juryentscheid
Zweite Preisträgerin ist die 1969 in Zweibrücken geborene und in Berlin lebende Lyrikerin Monika Rinck, eine Lyrikerin, die zu den wichtigsten Stimmen ihrer Generation gehöre, so die Jury. So rühme die Literaturkritik, die Gedichte ihres 2004 erschienenen Gedichtbandes „Verzückte Distanzen“ seien als „entrückte Perspektiven“ zu verstehen, wobei die Autorin die kleinen großen Verschiebungen beherrsche, die einem guten Gedicht die entscheidende Wendung gäben. So vielschichtig sei auch ihr 2006 erschienener Text „Ah, das Love-Dings“, den man als Essay verstehen könne, der aber in Wirklichkeit sowohl Roman als auch Gedicht und wissenschaftliche Untersuchung oder philosophische Abhandlung in einem sei, wobei die Autorin mühelos von theoretischen Höhen in die Niederungen des Alltags eintauche, fröhlich Uni- und Kunstwelt parodiere oder ins Lyrische gleite – dies sei Anlass genug für interessante Vergleiche beider Dichtungen, betonte Bürgermeister Brohm.
Die Feier zur 2. Preisverleihung fand 2012 im Historischen Ratssaal Speyer statt.
Preisträger 2006: Jan Wagner
Erster Preisträger des Arno-Reinfrank-Literaturpreises ist der Lyriker Jan Wagner.
Er wurde 1971 in Hamburg geboren, hielt sich längere Zeit in Dublin auf und lebt seit 1995 als Schriftsteller, Herausgeber und freier Literaturkritiker in Berlin. Als Übersetzer englischsprachiger Lyrik erhielt er den Übersetzerpreis der Stadt Hamburg. 2001 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband Probebohrungen im Himmel, 2004 folgte der Lyrikband Guerickes Sperling.
Juryentscheid
Für die Jury zeigte die Lyrik Jan Wagners, der als „virtuosester Formenspieler seiner Generation“ gilt, eine deutliche Affinität zu Reinfranks „Poesie der Fakten“. Mythologische Symbolstätten werden wie triviale Gegenstände der Alltagswelt ausschnitthaft, aber mikroskopisch genau in Augenschein genommen und dabei suggestiv in einen sinnhaften Zusammenhang einbezogen. Jan Wagner entwickele dabei eine unprätentiöse Artistik der Sprache, die noch mit den inhaltlichen Motiven wie den sprachlichen Formen zugleich virtuos und spielerisch umgehe. Was Jan Wagner schließlich mit Arno Reinfrank verbinde, sei die enge Beziehung zur angelsächsischen Kultur und auch hier wieder vor allem zur Lyrik.
Die Feier zur 1. Preisverleihung fand am 14. September 2006 im Historischen Ratssaal Speyer statt.